By Master_Death (Sieger 2. Fan-Fiction-Wettbewerb)
Date 21.07.2009 - 21:54
Hey, Leute. Gibt mal wieder was neues von mir. Die Geschichte ist für einen Kurzgeschichtenwettbewerb gedacht. Der Oberbegriff lautet "Traumtinte". Und da ich nun mal einen Hang zum Düsteren habe, ist das dabei rausgekommen. Kritik ist wie immer willkommen.
Zuflucht
Schreiend erwachte sie aus der Finsternis, aus ihrer persönlichen Höhle. Der Alptraum war vorbei, zum Glück. Durch die große Fensterfront trat das Licht eines neuen Tages, kitzelte ihre Nase und wärmte ihre Haut. Langsam setzte sie sich auf und schlang die zarte Satin-Decke um ihren Körper. Die Aussicht raubte ihr immer wieder den Atem. Die Wellen die leise rauschend an den Strand schlugen, große Palmen voller Kokosnüsse die sich langsam im warmen Wind bewegten und dieser wunderbare, blaue Himmel. Hier war sie glücklich, schon seit sie es zum ersten Mal besucht hatte. Sie stand auf und streckte ihre müden Glieder, ließ ihre Muskeln aus dem Schlaf erwachen und brachte ihren Kreislauf in Gang. Mit einem tiefen Seufzen streifte sie die restliche Müdigkeit ab und ging zu ihrem Kleiderschrank. Heute wollte sie unbedingt ihr gelbes Sommerkleid mit dem Blumenmuster anprobieren. Das Wetter war gerade richtig, trocken, warm und etwas windig. Dazu nahm sie den großen Strohhut den ihre Mutter immer getragen hatte. Wenn sie doch nur miterleben könnte, wie glücklich ihre Tochter hier war. Ihre Mutter konnte es nicht verstehen, weil es soweit weg war und weil sie fürchtete ihre Tochter zu verlieren. Doch nur hier konnte sie wirklich frei sein, wirklich leben. Eines Tages würde ihre Mutter es verstehen und vielleicht sogar mitkommen. Sie war sich sicher. Mit einem Kopfschütteln vertrieb sie die düsteren Gedanken, es war Zeit um sich etwas zu essen zu machen. Eine saftige Melone wäre jetzt genau das richtige.
Die morgendliche Luft war erfrischend kühl und das nahe Meer verlieh ihr einen angenehm salzigen Geschmack. Sie wanderte über den weißen Sandstrand in die Richtung des verträumten Städtchens das sie schon so lange nicht mehr besucht hatte. Kinder spielten im warmen Sand, während ihre Eltern die Morgensonne genossen. Einige Möwen kreischten und stritten sich um kleine Brotkrumen, die ein alter Mann ihnen zuwarf. Seine Frau saß in einem nahen Strandkorb, ein Junge schlief friedlich neben ihr. Sie grüßte den alten Mann und unterhielt sich mit ihm. Lächelnd erzählte er, dass sie mit der ganzen Familie Urlaub machen und ihr Enkel so ein friedlicher, lieber Junge ist. Zusammen fütterten sie die Möwen noch eine Weile. Kurze Zeit später verabschiedete sie sich und ging den Strand weiter hinab. Die Möwen kreisten um sie herum und begleiteten sie mit ihren heiseren Schreien. Sie blickte auf und beobachtete, wie die Vögel ihre Kreise zogen. Plötzlich schoss ein schwarzer Rabe heran und packte eine der kleineren Möwen im Flug. Zusammen stürzten sie herab und schlugen mit einem dumpfen Schlag auf den Sand auf. Die Möwe rührte sich nicht mehr, ihr Hals durch den Sturz in einem unmöglichen Winkel verdreht. Mit toten Augen starrte der Vogel sie an, während der Rabe anfing ihr Fleisch zu verzehren. Erschrocken machte sie einen Schritt zurück, schüttelte angewidert den Kopf und setzte ihren Weg in das kleine Städtchen fort.
Baldachine waren über die Strassen gespannt und tauchten sie in kühle Schatten. Darunter breiteten die Händler aus nah und fern ihre Waren aus. Früchte, Käse, Wein, Stoffe, Kleidung und allerlei Tand in einer bunten Mischung erfüllten das ganze Innere der Stadt. Um diese Zeit waren nur wenige Käufer hier. Einige Pärchen schlenderten zwischen den Ständen, sahen sich einzelne Gegenstände an oder scherzten mit den Verkäufern, dass dieses oder jenes viel zu teuer oder viel zu billig war, je nachdem, auf welcher Seite des Warentisches man stand. In anderen Gassen, sah sie wie sich die Menschen um niedrige Tische sammelten und eine Partie Domino, Schach oder Dame spielten. Niemand hier schien in Eile zu sein oder arbeiten zu müssen. Das Leben schritt hier in einem ganz anderen Tempo voran, als in der Stadt aus der sie kam. Dort gab es nur Stress und Hektik, Gewinnsucht und Neid. Hier konnte sie sich ausnahmsweise völlig entspannen und ihr anderes Leben vergessen. Keine Freunde die etwas von ihr verlangten, keine Mutter die sie immer belehrte, kein Vorgesetzter der sie kritisierte. Völlig vertieft in ihre Gedanken, wandelte sie durch die Strassen. Vor ihrem geistigen Auge sah sie all die Personen, die sie hierher getrieben haben. Ihr Freund, ihre Mutter, ihr Chef, ihre Kollegen und all die anderen, die sie immer wieder gedemütigt und herbgesetzt haben. Sie alle waren Schuld, dass sie sich hierher flüchten musste. Hier in diese wunderbare Landschaft, in der nur Frieden und Entspannung herrschten. Sie blickte auf, sah sich um. Diesen Teil der Stadt kannte sie nicht. Hier gab es keine Läden und keine Baldachine. Die Häuser waren alt und wirkten etwas verfallen. Putz blätterte von den Wänden und an manchen Stellen war der Schimmel zu erkennen. Es war still. Kein Laut war zu hören. Keine plappernden Kinder, keine Menschen die sich unterhielten, keine Händler die um Preise feilschten. Nur ihre eigenen düsteren Gedanken waren hier ihr Begleiter. All die Stimmen in ihrem Kopf wurden lauter, denn hier gab es nichts um sie zu verdrängen. Sie schrieen sie an, was für eine Enttäuschung sie sei, das sie versagt habe und das sie es nicht wert sei, geliebt zu werden. Krampfhaft schlossen sich ihre Hände um ihren Kopf. Sie wollte diese Stimmen vertreiben, wollte sie aus ihrem Kopf haben. Panisch rannte sie los, während Tränen aus ihren Augen schossen. Sie achtete nicht auf den Weg und wohin sie lief. Um eine Ecke rennend, rempelte sie einen Mann an. Sie versuchte eine Entschuldigung zu stammeln, doch er brüllte sie nur an, sie solle doch aufpassen, wo sie hinlief. Erst jetzt sah sie ihn wirklich. Er war alt und offensichtlich krank. Seine Zähne waren faulig und der Speichel troff aus seinem Mundwinkel, während er sie anschrie. Grüne, blutunterlaufene Augen starrten sie irre an und seine Kleidung schien seit Wochen nicht gewaschen worden zu sein. Aber das Schlimmste war sein Mantel. Dieser tiefschwarze Mantel, der das Licht zu verschlucken schien. Wie konnte das sein? Niemand trug hier Schwarz. Es gab hier kein Schwarz. Ihre unterdrückten Erinnerungen brachen wieder hervor und die Stimmen waren wieder da. In ihrem Kopf waren die Stimmen aus ihrer Vergangenheit, vor ihr stand dieser Mann, immer noch hysterisch schreiend und mittlerweile hatte er weitere Personen auf sich aufmerksam gemacht. Die Passanten hielten an und schauten zu, starrten sie an. Sie konnte ihre Gedanken hören. Konnte erkennen was sie denken. Sie alle dachten dasselbe. Was für eine erbärmliche Person sie doch war. Das sie diesen armen, alten Mann angerempelt hatte. Das sie nicht in der Lage war geradeaus zu gehen. Das sie bestimmt betrunken war. Das sie wertlos war. Sie musste hier raus, rannte an den Leuten vorbei. Stieß jene um, die sich ihr in den Weg stellen wollten. Nur weg hier. So rannte sie nach Hause, in ihr Heim, in ihre kleine Festung. Sie bemerkte nicht was um sie herum geschah. Auch nicht wie sich eine Wolke vor die Sonne schob und es bitterkalt wurde.
Mit einem donnernden Schlag warf sie die Tür hinter sich ins Schloss. Sie war in Sicherheit. Langsam ließ sie sich an der kühlen Wand herabsinken. Die Gedanken waren fort. Hier konnten sie nicht herein. Sie drückte ihr Gesicht in ihre Hände und ließ den Tränen freien Lauf. Eine ganze Weile saß sie dort und befeuchtete ihr gelbes Sommerkleid mit dem Blümchenmuster. Sie bemerkte nicht, wie es draußen langsam dunkel wurde und die Finsternis sich langsam in ihrer Wohnung ausbreitete. Erst als sie die Nahe Kälte spürte, hörte ihr Schluchzen auf. Langsam sah sie sich um und ihre Augen weiteten sich beim Anblick der Finsternis um sie herum. Panisch hieb sie auf den Lichtschalter und warmes Licht hielt die Schwärze zurück. Sie wimmerte vor kindlicher Furcht und kroch in ihr Schlafzimmer. Auch hier schaltete sie das Licht ein und versteckte sich in ihrem Bett. Warum hatte sie es nur vergessen? Ihr Alptraum kam zurück, wie jedes mal, wenn sie diesen Ort verlassen musste. Aber diesmal war es irgendwie schlimmer. Die Schwärze war kalt. Normalerweise war sie nicht kalt, sie war einfach nur traurig. Sie wollte nicht weg, nicht dieses mal. Das Licht flackerte als die Birne langsam ihr Leben aushauchte. Und sie konnte nichts anderes tun, als leise zu wimmern, während die Schwärze sie verschlang.
Kommissar Ernst hockte neben dem Körper einer jungen Frau auf dem Boden. Seine Hände wanderten über ihre Lippen, ihre Fingerspitzen und schließlich ihren Nacken. Blaue Flecken verunstalteten die ansonst makellose Haut. Sie war ein schönes Mädchen gewesen, diese Lisa Bauhuber. Reiche Eltern, hervorragende Abschlüsse und ein Verlobter aus guter Familie. „Schon wieder Traumtinte. Das fünfte Opfer diese Woche.“ Murmelte der Polizist hinter dem Kommissar. Dieser nickte nur langsam. „Ich kann nicht verstehen warum. Sie hatte alles. Warum also Drogen? Ich frage mich, was sie dort gesucht hat.“